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Baupolitisches Podium in Hannover

15. Juni 2022

Foto: Julian Martitz
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Der BDA Landesverband Niedersachsen hatte am 14. Juni zu einer Podiumsdiskussion in den Leinesaal im Leineschloss in Hannover geladen, um mit Vertretern der politischen Parteien im Vorfeld der Landtagswahl in Niedersachsen über bau- und bodenpolitische Themen zu diskutieren. Auf dem Podium saßen der niedersächsische Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Olaf Lies, der Spitzenkandidat der BÜNDNIS 90/Grünen-Landtagsfraktion und ehemalige Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Niedersachsen Christian Meyer, die Fraktionssprecherin für Wissenschaft, Forschung, Kultur und Bau der FDP-Landtagsfraktion Susanne Schütz, Felix Semper, Ratsherr der Landeshauptstadt Hannover, Mitglied des Bauausschusses und CDU-Landtagskandidat und die BDA-Landesvorsitzende Dilek Ruf. Moderiert hat die Veranstaltung Heiko Randermann, Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ).

Foto: Julian Martitz
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Christian Meyer, Spitzenkandidat der BÜNDNIS 90/Grünen-Landtagsfraktion und ehemaliger Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Niedersachsen
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Dilek Ruf, Landesvorsitzende des BDA Niedersachsen
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Felix Semper, Ratsherr der Landeshauptstadt Hannover, Mitglied des Bauausschusses und CDU-Landtagskandidat
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Heiko Randermann, Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung
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Olaf Lies, nds. Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz
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Susanne Schütz, Fraktionssprecherin für Wissenschaft, Forschung, Kultur und Bau der FDP-Landtagsfraktion

In ihrer Begrüßung nahm Dilek Ruf zunächst Bezug auf ein Interview mit der HAZ – erschienen am 10. Juni, in dem sie sich dafür ausgesprochen hatte, dass der Bau von Einfamilienhäusern zur Zersiedelung und zu zu vielem Flächenverbrauch führe und deshalb künftig verdichteter gebaut werden müsse. Das Thema „Bodenpolitik“ solle ein wesentliches Thema der anschließenden Diskussion werden, forderte sie. Denn die Bodenpreise stiegen ins Unermeßliche, was sie am Beispiel von München aufzeigte, wo in den 1960er Jahren Ackerland für 65,- Pfennig pro Hektar für die Erschließung von Wohngebieten verkauft worden wäre. Zum Vergleich lägen die Quadratmeterpreise für Bauland in München heute bei 14.000 €. Sie zitierte Bundesbauministerin Klara Geywitz, die im Mai auf der Real Estate Arena gefragt hatte: „Ist es richtig, dass jede Generation ihr Einfamilienhaus baut?“.

Nach einer Vorstellungsrunde aller Diskutant*innen griff Heiko Randermann das Thema auf und stellte die Frage an die Runde, ob es Regularien geben müsse für die Bodenpolitik.

Es waren sich alle ziemlich einig. Christian Meyer betonte, dass Niedersachsen ein Flächenland sei mit einem Flächenproblem. Es müssten weniger Flächen versiegelt und stattdessen müsste in die Höhe gebaut werden, sagte er. Außerdem müssten Dachgeschosse zu Wohnraum ausgebaut werden. Felix Semper beschrieb, in Hannover seien die Bodenpreise mittlerweile so hoch, dass sich nur noch ein ganz kleiner Teil ein Einfamilienhaus leisten könne. Aber es gäbe eine hohe Nachfrage nach Reihenhäusern. Susanne Schütz meinte, es fühle sich nicht gut an Verbote zu diskutieren. Man müsse es schaffen, ein Gleichgewicht zu erreichen zwischen Ver- und Entsiegelung. Minister Lies schließlich stellte heraus, dass es in landwirtschaftlichen und ländlichen Gebieten einen großen Teil an Bestandsbauten gebe, die zur Zeit von Jüngeren aufgekauft würden – nach dem Motto „Jung kauft alt“. Doch man müsse auch an die älteren Menschen denken. Er schlug vor Wohnungen zu tauschen und vorhandene Gebäude anders zu nutzen, z.B. für Senioren-WGs.
Doch die wesentliche Frage sei, wie stark sich das Land einmischen solle. Denn die Bodenpolitik sei eine Aufgabe der regionalen Raumordnung. Dilek Ruf betonte, dass wir so nicht weitermachen könnten wie bisher, weil es schließlich um den Klimawandel gehe. Es sei eine klimapolitische Debatte, die zum Umdenken zwinge auch im Hinblick auf die Zukunft unserer Kinder und der folgenden Generationen. Man dürfe das Thema „Einfamilienhausbau“ nicht nur auf persönliche Lebensträume reduzieren.

Doch wie steht es nun mit den Regularien im Lande Niedersachsen? Felix Semper ist der Auffassung, dass die Bauordnung in Niedersachsen nach wie vor ein Modernisierungsverhinderungsgesetz sei. So seien die gesetzlichen Vorgaben für die Ausbauten von Dachgeschossen zu Wohnraum viel zu hoch z.B., was den Brandschutz betreffe. Susanne Schütz ergänzte, dass die tatsächliche Umsetzung z.B. die Verhandlungen mit der Feuerwehr in der Praxis zu schwer seien. Sie fordert Prüfingenieure für Brandschutz ähnlich wie für die Statik. Obwohl die ersten Änderungsvorschläge für die Bauordnung aus den Reihen der FDP gekommen seien, sei die Bauordnung immer noch eine „Neubau-Ordnung“. Es wäre besser, mit „Augenmaß zu entscheiden“ z.B. beim Einbau von Fenstern im Rahmen eines Dachausbaus oder einer Sanierung.
Christian Meyer plädierte für die Abschaffung von Stellplätzen. Beim Bauen im Bestand müsste es mehr Freiheiten geben und weniger Detailnormen. Olaf Lies sprach sich für eine „Umbauordnung“ aus. Denn in der Zukunft würden auch andere Gebäude umgebaut werden, die zuvor nicht als Wohnungen genutzt worden seien, z.B. ehemalige Bürobauten.

Das nutzte Heiko Randermann als Überleitung und wandte sich zunächst an Dilek Ruf mit der Frage: „Wieviel Büroraum brauchen wir noch in den Städten? Kann man Bürobauten in Wohnungen umbauen?“
Dilek Ruf erwiderte spontan: „Ja, absolut. Das Thema Nachnutzung wird uns beschäftigen.“ Auch die Themen „Nachverdichtung“ und „Attraktivität der Innenstädte“ wurden intensiv diskutiert. Christian Meyer forderte Maßnahmen, um der Bodenspekulation entgegen zu wirken – Kaufpreisbremsen und Vorkaufsrechte für Kommunen. Susanne Schütz beschrieb ihre Beobachtung in Berlin, wo sie Baulücken im unmittelbaren Umfeld der Straße „Unter den Linden“ ausgemacht habe, die durchaus bebaut werden könnten jedoch brach lägen. Auch in Niedersachsen gäbe es unendlich viele Baugebiete innerhalb der Städte, die man nachverdichten könnte – nicht zuletzt die Siedlungen der 1950er Jahre, wo es Ecken mit kleinen Kiosken oder ehemaligen Tankstellen gäbe, die man  dichter und höher bebauen könnte. Zur Verbesserung der Attraktivität der Innenstädte verwies Dilek Ruf auf das Hohe Ufer in Hannover, das in Folge der Wettbewerbe aus der Initiative „Hannover 2020“ umgestaltet worden ist unter maßgeblicher Beteiligung von BDA-Kolleginnen und BDA-Kollegen. Hier ist eine Promenade am Leineufer entstanden, begleitet von neuem Wohnraum und dem Neubau der Volkshochschule. Aus dem Publikum kam die Frage, warum nicht die Hochschulen wieder zurück in die Innenstadt kehren könnten. Sie seien an die Ränder gedrängt worden, wie z.B. nach Garbsen und auf das EXPO-Gelände. Die Studierenden müssten dorthin lange Fahrten mit den Stadtbahnen auf sich nehmen. Felix Semper betonte, dass das Gelände der ehemaligen Weltausstellung ursprünglich anders gedacht worden sei. Sein Vorschlag für die Zukunft der Innenstadt ist, dass Arbeitgeber dort Arbeitsplätze schaffen sollten. In Hannover gäbe es große Arbeitgeber wie z.B. Versicherungsunternehmen, die sich ihre Bauten auch an die Stadtränder gesetzt haben statt Arbeitsplätze in der Innenstadt anzubieten.

Viele Fragen kamen auch aus dem Publikum. Warum wird es erlaubt, dass Discounter große Flächen in städtischen Quartieren eingeschossig bebauen dürfen? Dazu brachte Olaf Lies ein Beispiel aus seinem Wohnort. Man habe dort die Vorgaben geändert und im B-Plan vorgeschrieben, dass Discounter sich innerstädtisch nur noch in mehrgeschossigen Bauten ansiedeln können und darüber Wohnungen geschaffen werden müssten.
Eine weitere Anmerkung aus dem Publikum bezog sich auf die Hochschulpolitik. So gäbe es z.B. an der Leibniz Universität Hannover eine Nachfrage von 350 Studierenden für einen Master im Studiengang Stadtplanung. Doch es stehen nur 70 Plätze zur Verfügung. Gerade die Stadtplaner seien diejenigen, die die anstehenden und diskutierten Aufgaben in der Zukunft lösen können. Hier müsste die Politik ansetzen und mehr Studienmöglichkeiten schaffen.
Im Hinblick auf das Thema „Nachverdichtung“ fragte der Präsident der Architektenkammer Robert Marlow, warum die Abstandsregeln nicht geändert werden könnten zugunsten geringerer Abstände. Alle Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren sich einig, dass man das noch einmal diskutieren könne und es von Fall zu Fall betrachtet werden müsse. Quartiersbetrachtung und Konzeptvergaben nannte Susanne Schütz als mögliche Maßnahmen. Olaf Lies sagte, dass es beim Thema Abstände auch um den Klimawandel und z.B. Durchlüftungskorridore gehe, weshalb die Fachleute in seinem Ministerium nach wie vor für größere Abstandsregeln plädierten. Christian Meyer betonte, dass der Umbau der Städte die Klimaziele erreichen müsse. Er sprach sich aus für eine offene und pragmatische Diskussion je nach Fall, Ort und Region. Dilek Ruf schlug vor, sich gemeinsam Beispiele anzuschauen von gewachsenen, historischen Städten und dann gemeinsam darüber zu diskutieren.

Eine wichtige Publikumsfrage war auch: „Wie tragen wir das in die Öffentlichkeit?“ Susanne Schütz hatte bereits gesagt, dass die Architekten viel „in ihrer Blase“ diskutieren. Dabei müssten alle diese Themen öffentlich diskutiert werden. Sie sprach sich auch dafür aus, Bilder und gute gebaute Beispiele zu zeigen. Felix Semper schlug vor, dass die Verbände öffentliche Foren schaffen. Susanne Schütz ergänzte, man könne Materialien für Schüler zur Verfügung stellen oder auch Ferienprogramme für Schüler anbieten. Christian Meyer erinnerte daran, dass er in seiner Zeit als Minister den niedersächsischen Holzbaupreis ins Leben gerufen hatte. Auch er sprach sich für Diskussionen im Ort und Dialogprozesse aus.

Viele Fragen, viele Themen. Es hätte noch viele weitere gegeben. Doch nach zwei Stunden intensiver Diskussion schloss Heiko Randermann diese Podiumsdiskussion, und die Gäste konnten die Anregungen im kleinen Kreise bei einem Glas Wein weiterdiskutieren.

Susanne Kreykenbohm